ca de en es

Ermittlungen in Sachen Emotionen und Polyphonie

06.10.11

klassik

Ermittlungen in Sachen Emotionen und Polyphonie

Sir Roger Norrington und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, das ist eine Verbindung von hohem spezifischem Gewicht und großer Durchlässigkeit, ein dicht organisierter Verbund bei gleichzeitig größtmöglicher Freiheit für jeden Instrumentalisten. Daraus resultiert, so paradox es klingen mag, eine gleichzeitig strukturierte, aber auch sehr offene Interpretation. Mozarts Sinfonie in g-Moll KV 550 hat man schon so oft gehört, dass es schon einer besonderen Herangehensweise bedarf. Aber unter der Führung von Norrington vibriert diese Musik so, als ob man sie zum ersten Male hören würde. Die problematische Balance zwischen Begleitung und Hauptthema im ersten Satz, die Phrasierung des zweiten Themas, die harmonischen Zuspitzungen im Menuett, um nur einige wenige, aber wichtige Aspekte zu nennen - all das gelang auf das Natürlichste. Gleiches galt auch für die vertrackte Struktur des Finalsatzes. Dabei nutzte Norrington interpretatorische Freiräume, versagte sich aber alle Eitelkeiten. So entstand eine überraschend überzeugende Umsetzung der Partitur in Klang.

Gewissermaßen induktiv führte Norrington seine Zuhörer von dem intimen 'Ricercare' zu 6 Stimmen aus dem 'Musikalischen Opfer' BWV 1079 von Johann Sebastian Bach, über Wolfgang Amadeus Mozarts 'Adagio und Fuge' in c-Moll KV 546 bis hin zur Kantate 'Ich habe genug' BWV 82 von Johann Sebastian Bach mit dem exzellenten Bariton Florian Boesch und dem formidablen Oboisten Ulrich König zum symphonischen Ereignis. Gerade so konnte Norrington zeigen, wie tief der Geist Bachs in die Musik Mozarts eingedrungen ist, auch eben da, wo man es nicht vermutet.

Und Bachs Kantate wiederum war nicht nur aus dem Grund so überzeugend, weil Florian Boesch mit seiner anpassungsfähigen Stimme gerade in den oberen Lage stets frei und flexibel zu gestalten vermochte und den Text nicht nur als grotesk morbide, weltabgewandte sentimentale Denkweise auffasste, sondern auch weil er und Norrington etwas von Mozarts ironischem Geist in die Bachsche Musik einbrachte.

Das konnte aber nur so ungemein plausibel gelingen, weil die fabelhaft aufspielende Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und Sir Roger Norrington so sorgfältig miteinander musizierten. Das Publikum im fast ausverkauften großen Saal der Bremer Glocke schien die Botschaft verstanden zu haben, was nicht nur der rauschende Applaus, sondern auch die konzentrierte Stille beim Zuhören belegte.

MICHAEL PITZ-GREWENIG

Klassik magazine